Harper Lee schreibt in To Kill a Mockingbird: You never really understand a person until you consider things from his point of view- until you climb into his skin and walk around in it.
Dieser Satz hat mich schon damals beeindruckt, als ich ihn das erste Mal las und ist seitdem hängen geblieben. Zwar schaffe ich es nicht mal ansatzweise, ihn meinem Handeln oder Denken immer zu Grunde zu legen, aber als einer meiner liebsten Kumpel mich fragte, ob ich ihn zu einem Helene Fischer- Konzert begleiten würde, fiel er mir wieder ein. Let’s face it: Ich kann mit der Musik von Helene Fischer so viel anfangen wie ein Kabeljau mit einer Gehhilfe. Aber: Jemand der Abend für Abend über 40.000 Menschen mitreißt, muss doch irgendetwas bieten. Vielleicht verpasste ich ja tatsächlich etwas, wenn ich ignorant den Hype an mir vorüberziehen ließ. Mit diesen Gedanken fuhr ich am vergangenen Montag nach Köln.
Es liegen gerade einige Konzerte in 3000-5000er Hallen hinter mir und im Vergleich dazu, war das RheinEnergie Stadion schon eine andere Nummer, klar. Auf dem Parkplatz passierte direkt das, was sich den ganzen Abend wiederholen sollte und mir einen Anflug von Ekel- Gänsehaut bescherte. Während ich nach meinem Geld für das Parkticket suchte, strahlte mich der Ordner an “Geht’s zu unserer Helene?!” Nein. Ich parke einfach nur gerne am Ende der Welt und bezahle dafür. Der Einlass lief zwar bereits (16.30 Uhr, 19.30 Uhr Beginn der Vorband), dennoch bestand ich auf ein Abendessen, denn mit leerem Bauch lässt es sich so schlecht Atemlos sein.
Als wir schließlich zurück kamen, waren wir bereits spät dran und mussten noch den Weg vom Parkplatz ins Stadion finden. Aber gar kein Problem: Wir folgten einfach einer angetrunkenen Frauen- Gruppe, die “komplett in weiß” sehr genau genommen hatten, sogar die neckischen Hütchen mit silberner Strass- Applikation passten perfekt. Da der von mir begleitete Freund ein riesiger Helene- Fan ist, verkniff ich mir jeglichen Kommentar. Auch, als wir am Merchandise vorbei gingen und ich den Helene- Teddy, das Helene- Kissen und die pastell- farbenen T- Shirts mit der Aufschrift “Helene Fischer Ultras” erblickte. Durchatmen, nicht lachen, Ommm. Davon abgesehene hatte ich mir ja vorgenommen, “unserer Helene” eine faire Chance zu geben.
Je näher wir unseren Plätzen im Unterrang kamen, desto grotesker wurden die Menschen, die mir begegneten. Den Trainer des Kölner FC eingeschlossen. Aber gut, jeder hat seinen ganz eigenen Geschmack. Die Vorband, Glasperlenspiel, war gar nicht mal so schlecht und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich eigentlich lieber ein Konzert von ihnen gesehen hätte. Well. In der Pause schnell noch mal den Meggle- und Merch- Werbespot auf allen Leinwänden gezeigt- man muss ja sehen, wo man finanziell bleibt. Schließlich enterte um kurz nach acht ein, leider etwas furchtbarer, Moderator die Bühne um dem Publikum die “drei Stufen des Applaus” beizubringen. Äh, ja, nun.
Und dann: “Unsere Helene”. Ich war wirklich gespannt auf die hochgelobte Bühnenshow. Einige Bekannte meinten vorher “selbst wenn die Musik nicht so deins ist, die Show ist umwerfend.” Spoiler- Warnung: Ist sie nicht! Weder die Rammstein meets Silvester- Pyro noch die an Drahtseilen, wie eine Elfe, durch die Luft des Stadions sausende Frau Fischer konnten mich, trotz Neutralität, irgendwie beeindrucken. Klar, ich würde mich das nicht trauen, aber für diese Showeinlage kann ich auch in einen Zirkus gehen und muss nicht auf ein Konzert. Die Songs, die ich bis auf Atemlos und Fieber, nicht kannte, erinnerten mich mehr an Volksmusik, als ich gedacht hätte. Das einzige, was mich noch mehr an Volksmusik erinnerte, war das unglaublich gekünstelte Auftreten. Vielleicht kenne ich HF zu wenig, um mir darüber ein Urteil zu bilden, aber “Ich liebe euch! Ich liebe euch so sehr! Ihr seid so geil!” war dann doch eine Spur zu hart für mich. Ganz davon abgesehen, dass sie mit dem Publikum redete, als wären sie minderbemittelt. Beispiel: Im “Inner Circle” (Für die nicht- Helene- Ultras: Das ist der Bereich vor der Bühne, wo alle weiß angezogen sein müssen. Oder wie Helene sagte “Meine Whiiietiiiiiiesss”.) hielt Jemand einen BVB- Schal hoch und wurde daraufhin vom gesamten Stadion ausgepfiffen. HF beugte sich daraufhin in seine Richtung und erhob tadelnd den Zeigefinger “Na, na, na, den nimmst du besser wieder runter, den Schal. Das mögen die Anderen gar nicht”
Dennoch: Ich wusste, wieviel der Abend meinem helenisierten Freund bedeutete und versuchte deshalb nicht alles furchtbar zu finden. Wirklich. Ihre Kleider waren ganz schön, zum Beispiel. Allerdings entstand in den Pausen, in denen sie sich umzog eine derartige Unruhe im Stadion, dass ich es als massiv störend empfand. Meist gab es in diesen Pausen zur Überbrückung ein Instrumenten- oder Tanz- Solo ihrer Crew, das Publikum dachte sich aber offenbar “Ah, sie zieht sich um, dann mal schnell Bier holen und/oder aufs Klo.” Vielleicht würde zweimal umziehen auch reichen. Just sayin’. Vielleicht verstehe ich aber auch einfach die Show nicht.
Dank der vielen Cover- Versionen (Zwischendurch kam ich mir wirklich vor wie auf einem x- beliebigen Dorffest mit Party- DJ) kannte ich im Endeffekt sogar mehr als zwei Lieder, auch wenn ich nicht genau weiß, was “Sexy” von Westerhagen oder “Männer” von Grönemeyer auf einem Konzert von “Unserer Helene” verloren haben. Gut. Egal. Mein Kumpel war seelig und ich freute mich, dass es ihm so gut gefiel. Der Zug der Neutralität war für mich jedoch in dem Moment abgefahren, als sie sich an die in weiß gekleideten Piepel wandte und keck bemerkte “Ihr habt heute Weisheit erlangt!” (Wei- ß – heit. Verstehste? Kennste? Kennste? Wei- ß -heit?)
Fazit:
Ein Abend in der Haut eines Helene Fischer- Fans hat mir definitiv gereicht. Zwar hat es mit meinem Kumpel Spaß gemacht und vielleicht würde ich mit ihm noch mal hingehen, bezahlen würde ich jedoch keinen Cent. Und schon gar nicht das, was sie als Preis verlangt. Nur zum Vergleich: Vom Preis meiner Karte hätte ich das Farin Urlaub Racing Team 3(!) Mal sehen können. Aber ich bin mir auch bewusst, dass viele so über die Konzerte denken, die ich besuche und möchte nicht alles aburteilen. Ich gönne Jedem die gute Zeit, die er während einer solchen Show verbringt und es soll bitte jeder die Musik hören, die er mag.
Trotzdem: Ich finde nicht, dass das Dargebotene den Preis rechtfertig, zumal ich den leisen Verdacht äußern möchte, dass “Unsere Helene” eventl. nicht ganz so live gesungen hat, wie jeder denken mag. Aber das ist nur eine Vermutung. Es war eine interessante Erfahrung und ich habe es tatsächlich geschafft, einen ganzen Blog- Eintrag zu schreiben, ohne die Vagina- förmige Rose zu erwähnen, aus deren Mitte HF plötzlich entwachsen ist. Ach. Ups.
P.s.: DREIMAL ATMENLOS. DREI. MAL.
Schreibe einen Kommentar